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Die Haltung von Berater*innen – 

zwischen Abstinenz und Positionierung

Sara Dallmann, Februar 2021

Auf die Haltung kommt es an!? Die Bedeutsamkeit von Haltung ist unumstritten und damit verbundene Reflexionseinheiten gehören längst in das Repertoire professioneller Beratungsausbildungen, Intervisionsgruppen oder der reflexiven Auseinandersetzung mit dem eigenen beraterischen Handeln. 

Doch nehmen wir Folgendes an: Wir hätten eine Haltung. Eine Haltung, die ethisch einwandfrei ist, die regelmäßig kritischen Überprüfungen unterzogen wird und diese bravurös besteht. Eine Haltung also, die ethisch ihresgleichen sucht.  

Welche Relevanz hätte sie für Beratung? Welche Bedeutung würde sie einnehmen? Sollten wir sie als Berater*innen in Beratungsprozessen transparent machen? Oder wäre es sinnvoller, uns in Enthaltsamkeit oder zumindest in Zurückhaltung zu üben? An welchen Stellen käme unsere Haltung eigentlich zum Tragen? 

Nicht selten zeigen sich Berater*innen mitteilsam, wenn es darum geht, ihre eigenen Wertehaltungen transparent zu machen (vgl. Krainz, 2006, S. 189). So vermitteln die Websites mancher Beratungsfirmen den Eindruck, als nutzten sie ihr ethisches Leitbild, ihr Mission Statement oder ihren Ethik-Kodex als Asset, das den Unternehmen einen zusätzlichen Glanz verleihen soll. 

„Wie moralisch es allerdings ist, seine Moral auf die Visitenkarte zu drucken“ (ebd.), stellt Krainz in Frage. Neben dem Umstand, dass Moralität hier zum Zwecke der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlichem Erfolg instrumentalisiert wird, stellt sich die Frage, welche der proklamierten moralischen Absichten auch tatsächlich die entsprechende Wirkung erzielt. So formuliert Krainz: „Die Moralität erkennt man an den guten Absichten, die Professionalität an den guten Wirkungen, dem Erfolg“ (ebd.). 

Sollten Berater*innen ihre ethische Haltung also nicht explizit machen und stattdessen davon ausgehen, dass ihre eigene Professionalität – auch in Bezug auf ethische Aspekte – für sich spricht? 

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich dazu unterschiedliche Positionierungen, die die Bandbreite abdecken zwischen Abstinenz und Positionierung. 

 

Abstinenz!

Schmidt vertritt deutlich die Position der Abstinenz, wenn er von Berater*innen fordert, „sich möglichst von seinem eigenen Bezugsrahmen frei zu machen“ (Schmidt, 2008, S. 52). Dabei geht er so weit, zu sagen: 

„Der Coach soll leer sein, ein unbeschriebenes Blatt“ (ebd.). 

Auf diesem soll es gelingen, den Bezugsrahmen der*des Klient*in herauszuarbeiten und skizzenhaft zu rekonstruieren (vgl. ebd.). Diese Forderung beinhaltet, dass die*der Berater*in zwar über eine ethische Haltung verfügt, sich aber vorübergehend für den Prozess der Beratung abstinent zeigt. Dieses Zurückstellen der eigenen Wertehaltungen in Beratung stellt u. a. vor dem Hintergrund der Bedeutung von Haltung als inneres Grundverständnis, das immer auch Einfluss auf eigene Handlung nimmt (vgl. Exner, 2006, S. 55), eine beachtliche Forderung an Berater*innen. Zu dieser Einschätzung kommt auch Dobiasch: „Es ist fraglich, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine solche zeitweilige De-Aktivierung eigener Werthaltungen gelingen kann“ (Dobiasch, 2011, S. 151). Darüber hinaus unterscheidet Schmidt hier nicht zwischen moralisch integren und moralisch verwerflichen Beratungsanliegen. Berater*innen dürften als „unbeschriebenes Blatt“ nicht differenzieren zwischen Beratungsanliegen, die auf menschenverachtende Handlungen abzielen, und solchen, die einen hohen moralischen Wert implizieren. 

 

Positionieren!

Schreyögg und Schmidt-Lellek vertreten hierzu eine diametrale Position. Anstelle von Abstinenz fordern beide Positionierung in Bezug auf ethische Fragestellungen. Nach Schreyögg sollten Berater*innen „in ethischen Fragen Partei ergreifen“ und selbst „ethische Fragestellungen, allerdings auf einer begründeten Basis, anregen“ (Schreyögg, 2008, S. 274). Schmidt-Lellek macht in diesem Zusammenhang auf damit möglicherweise verbundene Probleme bzw. Paradoxien im Sinne einer Deformation des dialogischen Prozesses aufmerksam, wozu u. a. Dogmatismus, Missionarismus, Rettungs-Utopismus, Funktionalismus etc. zählen (vgl. Schmidt-Lellek, 2011, S. 66 f.). Die eigene Positionierung als Berater*in in Bezug auf ethische Fragen ist unweigerlich mit der Prämisse verbunden, die eigenen Werthaltungen und Überzeugungen einem Reflexionsprozess zu unterziehen, da diese – bewusst oder unbewusst – in den Beratungsprozess hineinwirken. So müssen Berater*innen „bereit sein, eigene Werthaltungen und moralische Überzeugungen immer wieder neu, systematisch und kritisch zu prüfen“ (Dobiasch, 2011, S. 152). 

Positionieren! Als politisches Engagement!

Auch Petzold fordert Berater*innen – konkret Supervisor*innen – dazu auf, sich zu positionieren. Dabei bezieht er sich weniger auf ethische Haltungen im Allgemeinen, sondern macht auf die gesellschaftliche Bedeutsamkeit der supervisorischen Expertenmacht aufmerksam. Diese Expertise könnte öffentlich genutzt werden, um auf gesellschaftliche Missstände z. B. in sozialen Organisationen hinzuweisen. Supervisor*innen werden im Rahmen ihrer beratenden Tätigkeit zu Zeug*innen gesellschaftlicher Missstände. Nach seinem Grundsatz 

„Macht fordert Verantwortlichkeit!“ (Petzold, 2009, S. 38) 

sieht Petzold damit die Verpflichtung verbunden, „Aussagen zu machen, Öffentlichkeit herzustellen, auch wenn das unbequem ist (...)“ (ebd. S. 51). Diese Forderung basiert auf der spezifischen ethischen Haltung von Berater*innen, neben konkreter beraterischer Tätigkeit auch einen gesellschaftlichen Auftrag als Teil der eigenen Funktion zu begreifen. Damit einher geht eine deutliche Kritik an jeder Form von Abstinenz beraterisch-politischen Engagements in diesem Sinne. 

 

Die Haltung zur eigenen Haltung 

Der wissenschaftliche Diskurs um die Frage der Relevanz der Haltung von Berater*innen und konkrete Überlegungen zu einem angemessenen Umgang mit der eigenen Haltung als Berater*in zeigt sich divers und reicht von Abstinenzforderungen bis hin zu Zuschreibungen gesamtgesellschaftlicher Verantwortung im Sinne einer nicht hintergehbaren Verpflichtung. Allen Positionen ist dabei gemein, dass sie die Relevanz einer reflektierten und bewussten Haltung von Berater*innen vor dem Hintergrund ethischer Aspekte für äußert hoch halten. 

Gleichzeitig wird deutlich, dass Haltung ein komplexes Konstrukt darstellt, das nicht weniger als tief verinnerlichte Grundannahmen beschreibt, die im Laufe der menschlichen Biografie und eingebettet in unzählige einflussnehmende gesellschaftliche Subsysteme entstanden sind. Die eigene Haltung als Prinzip von Werten unterscheiden und versprachlichen zu können, stellt bereits eine anspruchsvolle Aufgabe dar. Die Veränderungs- und Entwicklungspotentiale von Haltung konstruktiv zu nutzen, kann als eine weitere Herausforderung verstanden werden. 

Berater*innen stehen nun vor der zusätzlichen Herausforderung, eine Haltung zu ihrer eigenen Haltung etablieren zu müssen, um einen beliebigen Umgang mit dem Wirken ihrer Haltung in Beratungsprozessen zu vermeiden. Obwohl die Entwicklung einer solchen „Meta-Haltung“ durch z. B. Meta-Consulting unterstützt werden kann, verraten die aufgeführten divergierenden Positionen, dass sich Meta-Haltung immer durch Haltung beeinflusst und damit als hoch subjektiv darstellt. In diesem Sinne trifft der Satz „Auf die Haltung kommt es an!“ zwar umso mehr zu, bedarf aber gleichzeitig eines kontinuierlichen, fundierten Reflexionsprozesses, mit dessen Hilfe Berater*innen ihre eigenen Werthaltungen und moralischen Überzeugungen systematisch und kritisch überprüfen und hinterfragen. 

Sie sind interessiert an diesem Thema, wünschen sich mehr Informationen, können sich eine Fort- oder Weiterbildung in dem Bereich vorstellen oder wollen sich ganz einfach dazu austauschen und vernetzen? Schreiben Sie mir! Ich freue mich! 

Literatur

Exner, A. (2006). Wenn die Haltung der Ethik gegenübersteht. In P. Heintel, L. Krainer, M. Ukowitz (Hrsg.), Beratung und Ethik. Praxis, Modelle, Dimensionen (S. 53-70). Berlin: Ulrich Leutner Verlag.

Krainz, E. E. (2006). Versuch über die Ethik der Organisationsberatung. In P. Heintel, L. Krainer, M. Ukowitz (Hrsg.), Beratung und Ethik. Praxis, Modelle, Dimensionen (S. 170-195). Berlin: Ulrich Leutner Verlag.

Petzold, H. (2009). „Macht“, „Supervisorenmacht“ und „potentialorientiertes Engagement“. Supervision: Theorie – Praxis – Forschung. Eine Interdisziplinäre Internet-Zeitschrift. https://www.fpi-publikation.de/supervision/ [25.01.2021].

Schmidt, M. (2008). Der Einzelne oder das große Ganze? Coaching Magazin, 03/2008, 50–54.

Schmidt-Lellek, C. (2011). Die Autonomie des Klienten. Paradoxien einer dialogischen Haltung in Coaching und Supervision. In C. Schmidt-Lellek, A. Schreyögg (Hsrg.), Philosophie, Ethik und Ideologie in Coaching und Supervision (S. 59-70). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Schreyögg, A. (2008). Der Umgang von Führungskräften mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern. In F. Buer, C. Schmidt-Lellek (Hrsg.), Life-Coaching. Über Sinn, Glück und Verantwortung in der Arbeit (S. 253-274.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 

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