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Wenn Beratung auf Ethik trifft –

eine Einführung

Sara Dallmann, November 2020

Wenn Sie einen geistigen Streifzug durch unsere Gesellschaft vornehmen, wo begegnet Ihnen das Thema Ethik? 

Diese Frage provoziert eine nicht enden wollende Liste an „Wegweisern“, die Ethik in nahezu allen Feldern gesellschaftlicher Reflexion bereithält. So werden nicht nur in Disziplinen wie Wirtschaftsethik, Medizin- und Bioethik, Technologieethik etc. Wertefragen verhandelt, sondern auch die Settings immer vielfältiger, in denen ethische Fragestellungen einen diskursiven Austausch befeuern. Diese finden sich in Ethik-Kommissionen, sich Moral- und Ethikkodizes verpflichtenden Berufsverbänden sowie in Talkshows und Feuilletons. Spätestens mit dem Einzug der weltweiten Corona-Krise sind eine Vielzahl ethischer Fragestellungen in den Fokus öffentlichen Interesses gerückt. Ethik wird damit zur hochfrequentierten Ratgeberin, die im Trend der Ethisierung unterschiedliche Motive bedient. Dabei wird sie sowohl als moralischer Kompass verstanden, erfüllt andererseits allgemeine Normierungsbedürfnisse, kommt ebenso denen zugute, die sie als wettbewerbssteigerndes Asset nutzen und ermöglicht nicht zuletzt eine explizite Auseinandersetzung mit der Frage nach dem (ethisch) Guten und Richtigen.  

Auch in beratenden Kontexten wird die Relevanz ethischer Fragestellungen nicht in Zweifel gestellt. So verfügen u. a. die DGSv und der DBVC e.V. über ethische Leitlinien bzw. einen Ethik-Kodex. Die Zahl expliziter Veröffentlichungen zum Thema „Ethik in Beratung“ steigt, Fachtage werden initiiert und Beratungsausbildungen – wie der Masterstudiengang „Beratung in der Arbeitswelt – Coaching, Mediation, Supervision und Organisationsberatung“ – integrieren seit Jahren Lehr-Einheiten über die Ethik arbeitsweltlicher Beratung. Heintel formuliert bereits 2006 über Beratung: „Es bedarf also gar keiner gesonderten und speziellen Fokussierung des Ethischen, es ist einfach immer da, kann gar nicht vermieden werden“ (Heintel, 2006, S. 201).

Wenn Beratung auf Ethik trifft – eine freundschaftliche Begegnung? 

Wenn Beratung auf Ethik trifft, so könnte angenommen werden, handelt es sich um eine freundschaftliche Begegnung. Beratung als helfende und unterstützende Disziplin, im besten Falle einem humanistischen Menschenbild folgend, die Klient*innen bedingungsfrei akzeptierend (vgl. Roger, 2000, S. 27), versteht Ethik auf ihrer Seite, quasi als ihren verlängerten Arm, der von Zeit zu Zeit bestätigend auf ihre Schulter klopft.

Vor allem pädagogische Diskurse bemühten sich lange Zeit um die Aufrechterhaltung eines Beratungsverständnisses, das sich in Bezug auf ethische Reflexionen in jedem Sinne als belastbar erwies. Damit sollte Beratung unter Ausschluss von Hierarchie und Bewertung stattfinden und ganz im Vertrauen auf die Selbstheilungs- und Veränderungskräfte der Klient*innen in wohlwollender Atmosphäre zum Erfolg führen (vgl. Göhlich et al., 2007, S. 13). Nicht selten avanciert Beratung und das mit ihr verbundene Beratungswissen zu einer Form mystischen bzw. „säkularreligiösen Heilswissens“ (Weber, 2007, S. 72) und legitimiert sich über Narrative von Erfolgsgeschichten. Lange Zeit waren diese über jeden Zweifel am ethischen Gehalt beraterischer Theorie und Praxis erhaben.

Dieses Bild begann im Laufe – u. a. mit wachsenden Anforderungen und Ansprüchen an Beratung – zu bröckeln. Auch wissenschaftliche Publikationen verweisen inzwischen kritisch auf Themen, die Hinweise auf Dimensionen der Ethik in Beratung geben. So wird u. a. die Deutungs- und Statusmacht von Berater*innen (vgl. Petzold, 2005) kritisch reflektiert, Paradoxien in der dialogischen Beziehung zwischen Berater*in und Klient*in (z. B. in Form von Dogmatismus, Funktionalismus oder Guru-Strukturen) demaskiert (vgl. Schmidt-Lellek, 2011, S. 68) oder Dilemmata benannt und diskutiert, in denen Beratungsanliegen heterogene Ziele verfolgen und Beratung damit z. T. unbemerkt zum Schauplatz mikropolitischer Ereignisse erwächst. Insgesamt wird vielerorts auf das Fehlen machtkritischer Positionen im Feld der Beratung verwiesen (vgl. Petzold, 2009). Die Vorstellung von Beratung als einen „idealisierten machtfreien Raum“ (ebd. S. 13) scheint also nicht uneingeschränkt zuzutreffen.

 

Wenn Beratung auf Ethik trifft – eine bewegte Begegnung

Wenn Beratung auf Ethik trifft – so viel scheint klar zu sein – handelt es sich also nicht um eine gänzlich spannungsfreie und geklärte Begegnung. Nun stellt sich die Frage, an welchen Stellen Beratung und Ethik überhaupt aufeinandertreffen und in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen. Oder wäre nicht auch eine Beratung jenseits von Ethik denkbar?

Heintel (2006) vertritt hierzu eine klare Position: „Es ist für mich (...) eine Illusion, behaupten zu wollen, es gäbe eine Beratung ohne Ethik“ (2006, S. 201). 

Folgt man dieser Annahme müsste Ethik als immanenter Bestandteil von Beratung verstanden werden und auf unterschiedlichen Ebenen der Beratung zu erkennen und beschreiben sein.  

 

Wenn Beratung auf Ethik trifft – das MAGAZIN

In diesem MAGAZIN für Ethik in Supervision und Coaching wird den unterschiedlichen Gestalten ethischer Beratungsaspekte nachgegangen. Dabei wird sich zeigen, dass Ethik eine ebenso spannende wie allgegenwärtige – aber manchmal vernachlässigte – Komponente arbeitsweltlicher Beratung darstellt. Eng mit Ethik verbunden sind die Themen Macht und Diversität und mit diesen wiederum eine Vielzahl bedeutsamer Themen, die sich alle unter dem Titel des MAGAZINS subsummieren lassen: 

  • Moderne Macht, Subjektivierung und Gesellschaft 

  • Macht(a)symmetrien zwischen Berater*in und Klient*in

  • Gendersensible Beratung 

  • Diversity in Beratung 

  • Rassismus- und diskriminierungskritische Beratung 

  • Differenzkonstruktion in Beratung

  • Die Macht der Sprache 

  • Die eigene Haltung von Berater*innen: Zwischen Abstinenz und Positionierung

Sie sind interessiert an diesem Thema, wünschen sich mehr Informationen, können sich eine Fort- oder Weiterbildung in dem Bereich vorstellen oder wollen sich ganz einfach dazu austauschen und vernetzen? Schreiben Sie mir! Ich freue mich! 

Literatur

 

Göhlich, M., König, E., Schwarzer, C. (2007). Beratung, Macht und organisationales Lernen. Eine Einführung. In M. Göhlich, E. König, C. Schwarzer (Hrsg.), Beratung, Macht und organisationales Lernen (S. 7-19). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 

Heintel, P. (2006). Das “Klagenfurter prozessethische Beratungsmodell.” In P. Heintel, L. Krainer, M. Ukowitz (Hrsg.), Beratung und Ethik. Praxis, Modelle, Dimensionen (S. 196-243). Berlin: Ulrich Leutner Verlag.

Petzold, H. (2005). Über die Unsensiblität von Supervisoren für die Historizität ihrer „Profession“ – Begriffliche Mythen und einige Fakten zu Herkommen und Hintergrund des Wortes „Supervision“ und Integrativer Perspektive. Supervision: Theorie – Praxis – Forschung. Eine Interdisziplinäre Internet-Zeitschrift. https://www.fpi-publikation.de/supervision/ [25.01.2021].

Petzold, H. (2009). „Macht“, „Supervisorenmacht“ und „potentialorientiertes Engagement“. Supervision: Theorie – Praxis – Forschung. Eine Interdisziplinäre Internet-Zeitschrift. https://www.fpi-publikation.de/supervision/ [25.01.2021].

Rogers, C. R. (2000). Therapeut und Klient. Grundlagen der Gesprächspsychotherapie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH. 

Schmidt-Lellek, C. (2011). Die Autonomie des Klienten. Paradoxien einer dialogischen Haltung in Coaching und Supervision. In C. Schmidt-Lellek, A. Schreyögg (Hsrg.), Philosophie, Ethik und Ideologie in Coaching und Supervision (S. 59-70). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Weber, S. M. (2007). Mythos, Mode, Machtmodell. Konzepte der Organisationsberatung als pädagogisches Wissen am Markt. In M. Göhlich, E. König, C. Schwarzer (Hrsg.), Beratung, Macht und organisationales Lernen (S. 69-81). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 

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